2. Ausgangssituation
2009 hat die Bunderegierung die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ratifiziert. Ziel
dieser Konvention ist es, für alle Menschen mit Behinderung „den vollen und gleichberechtig-
ten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern, zu schützen und zu ge-
währleisten“ (UN-BRK Artikel 1, Absatz 1). Auch die DGUV hat in enger Kooperation mit dem
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) einen umfangreichen Aktionsplan erar-
beitet, um den Geist der UN- Behindertenrechtskonvention in konkretes und verbindliches
Handeln umzusetzen und einen eigenständigen und nachhaltigen Beitrag zu einer inklusiven
Gesellschaft zu leisten. Dem Bildungsbereich wird dabei ein hoher Stellenwert zugeschrie-
ben. Ziel der DGUV ist es, Sonderwelten für Menschen mit Behinderungen zu vermeiden. Es
geht um die inklusive Arbeitswelt und die Förderung des Inklusionsgedankens in Bildungs-
einrichtungen. Eine solche Akzentuierung ist wichtig, weil in der Kindertagesbetreuung sowie
in Schulen und Hochschulen auch die erzieherischen und bildungsbezogenen Wurzeln und
Grundlagen einer inklusiven Lebensweise stecken und entwickelt werden müssen, wenn sie
in der Gesellschaft ankommen sollen.

3. Verständnis von Inklusion
Das Inklusionsverständnis, das der Arbeit des Fachbereichs Bildungseinrichtungen zugrunde
liegt, ist ein weit gefasstes und entspricht dem ganzheitlichen Gesundheitsverständnis des
Fachbereiches. Es geht davon aus, dass jeder Mensch seine Potenziale hat, die es wahrzu-
nehmen und wertzuschätzen gilt.

Demzufolge stellt Inklusion eine Form des gesellschaftlichen Umgangs mit Verschiedenheit
von Menschen dar. Sie wird als Prozess verstanden, der zum Ziel hat, die Teilhabe aller
Menschen an sozialen Gemeinschaften zu steigern und individuell oder kollektiv erlebte Bar-
rieren zu verringern.

Im Hinblick auf Bildung wird Inklusion als ein Prinzip verstanden, das die Aufnahme aller
Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in eine Einrichtung sowie die uneinge-
schränkte Teilhabe und Gemeinsamkeit auch innerhalb der Einrichtung vorsieht. Inklusion
beschränkt sich dabei nicht nur auf die gemeinsame Ausbildung von Kindern, Jugendlichen
und jungen Erwachsenen mit und ohne Behinderungen. Es geht auch um die anderen As-
pekte von Verschiedenheit, die die Bildungspartizipation von Menschen behindern oder för-
dern können. Dazu gehören Ausgrenzungen beziehungsweise Benachteiligungen, zum Bei-
spiel auf Grund von Geschlecht und sexueller Orientierung, sozialer Herkunft, spezifischen
Lebensbedingungen und/oder Kultur. Inklusion bezieht sich somit auf alle Kinder, Jugendli-
chen und jungen Erwachsenen, die in unserem Bildungssystem von Ausgrenzung und feh-
lender Teilnahme bedroht sind.

Ein weiterer Aspekt von Inklusion, der für die Arbeit des Fachbereichs Bildungseinrichtungen
bedeutsam ist, ist die institutionelle Entwicklung (Organisationsentwicklung) einer Bildungs-
einrichtung. Wie müssen Bildungseinrichtungen und darüber hinaus das gesamte Erzie-
hungs- und Bildungssystem beschaffen sein, in denen Menschen mit Benachteiligung Hilfen
erhalten, ihre Chancen wahrzunehmen, zu entdecken und zu entfalten? Die Frage der Inklu-
sion und Exklusion wird damit nicht an den Menschen, sondern an der Institution festge-
macht. Inklusion im Bereich der Bildungseinrichtungen meint, die Systeme der Kindertages-
einrichtung, der Schule und der Hochschule zu verändern, und nicht, dass sich die Men-
schen in den Bildungseinrichtungen an die bestehenden Systeme anpassen müssen.

 

4. Chancen und Herausforderungen der Inklusion
Die Entwicklung der Kindertageseinrichtungen, Schulen und Hochschulen zu inklusiven Bil-
dungseinrichtungen ist aus Sicht des Fachbereichs nicht nur rechtlich geboten, sondern auch
aus ethischen Gründen alternativlos. Es ist wichtig, diese Entwicklung mit Nachdruck und
mit Systematik zu unterstützen und zu fördern. Es ist aber ebenso notwendig, sie behutsam
und sensibel voranzutreiben.

Auf der einen Seite kann eine gelungene Umsetzung der Inklusion die Qualität von Erzie-
hung und Bildung fördern sowie zu einer Verbesserung des Wohlbefindens und der Gesund-
heit der Menschen in den Bildungseinrichtungen beitragen. Vor allem das Sozialklima und
die Kultur einer Einrichtung sowie damit verbunden die Werte, die in einer Bildungseinrich-
tung vorherrschen, und die Haltungen der in ihr arbeitenden, lehrenden und lernenden Men-
schen profitieren von einer inklusiven Entwicklung.

Auf der anderen Seite bedeutet der Reformauftrag für alle Beteiligten ein verändertes Han-
deln und damit auch zusätzliche Arbeit und Anstrengungen, auf die sie häufig unzureichend
vorbereitet sind. Zudem stehen vielfach noch nicht die eigentlich erforderlichen personellen,
materiellen und zeitlichen Ressourcen zur Verfügung. Die mit der Entwicklung inklusiver Bil-
dungseinrichtungen verbundenen Belastungen können somit zu Beeinträchtigungen der Ge-
sundheit, vor allem der psychischen Gesundheit der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen
führen. Insofern ist es aus Sicht des Fachbereichs Bildungseinrichtungen notwendig, die in-
klusive Organisationsentwicklung mit einer gesundheitsförderlichen zu verbinden.


5. Anforderungen an die Bildungseinrichtungen
Die Anforderungen, die eine inklusive Entwicklung an Bildungseinrichtungen stellt, sind viel-
fältig:
- Es ist grundsätzlich erforderlich, in den Bildungseinrichtungen inklusive Werte in die
Praxis umzusetzen. Hierzu gehört es u.a., alle Kinder, Jugendlichen und Erwachse-
nen, die dort betreut werden, lernen und arbeiten, in gleicher Weise wertzuschätzen.
- Der Entwicklungsprozess hin zu inklusiven Bildungseinrichtungen muss evolutionär
verlaufen, um alle Beteiligten und Betroffenen mitnehmen zu können, die Betreuen-
den, Erziehenden und Lehrenden angemessen qualifizieren zu können und die Bil-
dungseinrichtungen professionell für Inklusion auszustatten.

- In inklusiven Bildungseinrichtungen sind alle Kinder, Jugendlichen und jungen Er-
wachsenen entsprechend ihren Fähigkeiten zu fördern. Dies bedeutet methodisch vor
allem offene Lern-Lehr-Formen und verstärktes kooperatives und selbstreguliertes
Lernen und Studieren.
- Die Vielzahl von Benachteiligungen erfordert die Arbeit in multiprofessionellen
Teams. Neben den Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und Lehrern sowie Do-
zentinnen und Dozenten sollte das sonstige Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbil-
dungspersonal der Bildungseinrichtungen in die inklusive Arbeit einbezogen werden.
- Die Bildungseinrichtungen benötigen eine entsprechende räumliche, materielle und
technische Ausstattung. Diese bedeutet nicht nur eine barrierefreie Gestaltung des
Raums, sondern auch eine Gestaltung der Angebote, die den Forderungen nach
Öffnung und Differenzierung, ohne die inklusive Bildungseinrichtungen nicht denkbar
sind, Rechnung trägt sowie inklusionsgerechte Arbeitsbedingungen für die Beschäf-
tigten.
- Es ist notwendig, Unterstützungssysteme in Bildungseinrichtungen zu stärken, die
sich der Belange aller Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen annehmen.
Dies bedeutet auch, dass es spezialisierte Angebote für Menschen mit besonderen
Bedürfnissen geben muss.

6. Anforderungen an die Präventionsarbeit der Gesetzlichen Unfallversicherung
Der Fachbereich Bildungseinrichtungen möchte mit seiner Arbeit die im Aktionsplan zur Um-
setzung der UN-Behindertenrechtskonvention der Deutschen Gesetzlichen Unfallversiche-
rung formulierte Zielsetzung unterstützen. Er möchte dazu beitragen, die Bedeutung des
Themas für eine ganzheitliche Prävention und Gesundheitsförderung in Bildungseinrichtun-
gen bewusst zu machen und es in die tägliche bildungsbezogene Arbeit der gesetzlichen
Unfallversicherung zu integrieren.

Die dafür erforderlichen Maßnahmen des Fachbereichs Bildungseinrichtungen werden das
Thema Inklusion in zweifacher Art und Weise aufgreifen. Zum einen wird es immanenter und
selbstverständlicher Bestandteil zukünftig zu entwickelnder Präventionsangebote sein, zum
Beispiel in den Branchenregeln. Zum anderen wird es spezifische Maßnahmen zum Thema
Inklusion geben, wie zum Beispiel Fachtagungen und Handlungshilfen.

Zunächst wird es darum gehen müssen, die Bewusstseinsbildung für die Notwendigkeit einer
inklusiven Praxis in den Bildungseinrichtungen zu fördern, denn Inklusion beginnt in den
Köpfen. Hierzu werden Angebote für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Unfallversiche-
rungsträger notwendig sein, die zum einen der Information, zum anderen der Reflexion und
dem Erfahrungsaustausch dienen. Es ist zudem notwendig, die erforderliche inklusive Hand-
lungskompetenz in der gesetzlichen Unfallversicherung schrittweise, aber möglichst schnell
aufzubauen. Demzufolge gilt es, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der im Bildungsbereich
aktiven Unfallversicherungsträger für die inklusive Arbeit vor Ort zu qualifizieren. Nicht zuletzt
wird es notwendig sein, Präventionsangebote zu entwickeln, die im Rahmen der Präventi-
onsarbeit in den Kindertageseinrichtungen, Schulen und Hochschulen eingesetzt werden
können.

Diese unterstützende Arbeit erfordert zum einen Know How, das auch im Rahmen von Mo-
dell- und Forschungsprojekten gewonnen werden muss. Zum anderen erfordert sie aus fach-
lichen, finanziellen und strategischen Gründen die Kooperation mit gesellschaftlichen, staat-
lichen und politischen Institutionen. Darüber hinaus ist eine stärkere DGUV-interne Zusam-
menarbeit, insbesondere mit dem Arbeitsbereich Rehabilitation und Entschädigung anzu-
streben. Nur gemeinsam mit anderen interessierten Personen und Institutionen lässt sich
das Ziel einer inklusiven Bildungswelt und darüber hinaus einer inklusiven Gesellschaft ver-
wirklichen.